Spirulina wird oft als Wundermittel beworben, doch eine genaue Betrachtung zeigt, dass viele der versprochenen Wirkungen wissenschaftlich nicht haltbar sind. Verbraucher sollten bei diesen Nahrungsergänzungsmitteln Vorsicht walten lassen, da sie nicht nur unwirksam sein können, sondern auch potenzielle Gesundheitsrisiken bergen.
Wichtige Erkenntnisse
- Spirulina ist eine Cyanobakterie, die als Nahrungsergänzungsmittel vermarktet wird.
- Der beworbene hohe Eiweiß- und Vitamin B12-Gehalt ist für den menschlichen Körper oft irrelevant oder nicht verwertbar.
- Wissenschaftliche Studien am Menschen, die gesundheitliche Vorteile belegen, sind rar und oft methodisch mangelhaft.
- Spirulina-Produkte können mit Schwermetallen, PAKs und Mikroplastik belastet sein.
- Personen mit Phenylketonurie, Allergiker und Menschen, die bestimmte Medikamente einnehmen, sollten Spirulina meiden.
Die Realität hinter dem Superfood-Hype
Spirulina, oft als Mikroalge oder Süßwasseralge bezeichnet, gehört zur Gattung der Cyanobakterien. Sie wird in Bioläden, Reformhäusern und online als „unvergleichliche Energiequelle“ oder „wertvollstes Nahrungsmittel auf diesem Planeten“ angepriesen. Diese Produkte sollen angeblich bei zahlreichen Beschwerden helfen, von Fibromyalgie über erhöhte Blutfettwerte bis hin zu Krebs- und HIV-Infektionen. Auch zur Gewichtsreduktion wird Spirulina häufig beworben.
Die Realität sieht jedoch anders aus. Belastbare wissenschaftliche Studien, die diese Behauptungen am Menschen belegen könnten, sind kaum vorhanden. Die meisten Untersuchungen finden an Zellkulturen oder Tieren statt, deren Ergebnisse sich nicht direkt auf den Menschen übertragen lassen. Humanstudien sind oft klein und methodisch fragwürdig.
Faktencheck Spirulina
- Eiweißgehalt: Obwohl 100 Gramm getrocknete Spirulina rund 60 Gramm Eiweiß liefern, sind die üblichen Tagesdosen (1,5 bis 6 Gramm) zu gering, um relevant zu sein. Zehn Tabletten enthalten nur etwa 2,4 Gramm Eiweiß, vergleichbar mit einem Esslöffel Magerquark.
- Vitamin B12: Das enthaltene Vitamin B12 ist zu etwa 80 Prozent für den Menschen nicht verwertbar. Es kann sogar die Aufnahme von echtem Vitamin B12 blockieren, was besonders für Veganer problematisch ist.
- Chlorophyll: Der hohe Chlorophyll-Gehalt ist ernährungsphysiologisch irrelevant, da es kein Nährstoff ist. Grünes Blattgemüse ist eine bessere Quelle.
Mangelnde wissenschaftliche Belege und irreführende Werbung
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat bisher keine gesundheitsbezogenen Werbeaussagen (Health Claims) für Spirulina als wissenschaftlich nachvollziehbar befunden. Das bedeutet, dass Werbeaussagen wie die Aufrechterhaltung eines normalen Blutzuckerspiegels, der Schutz vor oxidativen Schäden oder antioxidative Eigenschaften bei gesunden Personen nicht belegt sind.
„Heilung, Linderung oder Behandlung von derartigen Krankheiten ist nicht die Aufgabe von Nahrungsergänzungsmitteln. Dafür sind Arzneimittel da. Es gibt jedoch in Deutschland keine zugelassenen Arzneimittel mit Spirulina.“
Werbeaussagen wie „proteinreich“ oder „reich an Vitamin B12“ sind sogar verboten, wenn die Tagesdosis nicht mindestens 30 Prozent der Referenzwerte erreicht. Viele Produkte erfüllen diese Kriterien nicht, was Verbraucher in die Irre führen kann.
Studienlage: Wenig aussagekräftig
Einige doppelblinde Humanstudien, oft mit geringen Teilnehmerzahlen, untersuchten Spirulina in Kombination mit Diäten oder Sportprogrammen bei adipösen Personen oder Patienten mit Stoffwechselstörungen. Sie berichteten teilweise über Gewichtsreduktion oder verbesserte Blutfettwerte. Es bleibt jedoch unklar, ob diese Effekte tatsächlich auf Spirulina zurückzuführen sind oder auf die begleitenden Maßnahmen. Kontrollierte Langzeituntersuchungen fehlen komplett.
Gefahren durch Schadstoffe und Verunreinigungen
Ein erhebliches Problem bei Spirulina-Produkten ist die mögliche Belastung mit Schadstoffen. Da die Produktion häufig in offenen Systemen erfolgt, kann es zu Verunreinigungen kommen. Dies reicht von Grünalgen und anderen Cyanobakterien bis hin zu Darmbakterien durch Vogelkot.
Hintergrund: Offene und geschlossene Systeme
Spirulina wird kommerziell in Aquakulturen angebaut, oft in großen offenen Becken. Diese Systeme sind anfällig für Verunreinigungen aus der Umwelt. Geschlossene Systeme, die besser kontrollierbar sind, sind weniger verbreitet, insbesondere für Spirulina im Vergleich zu Chlorella-Algen.
Häufige Kontaminanten
- Schwermetalle: Frühere Untersuchungen zeigten Belastungen mit Blei, Cadmium und Quecksilber durch verschmutztes Zuchtwasser.
- Anorganisches Arsen: Die EFSA warnt vor einer erhöhten Exposition durch vermehrten Verzehr algenhaltiger Nahrung.
- Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAKs): Diese krebserregenden Stoffe entstehen oft durch unsachgemäße Trocknung und werden immer wieder im europäischen Schnellwarnsystem RASFF gemeldet. Seit 2015 gibt es EU-Höchstwerte für PAKs in Spirulina-Nahrungsergänzungsmitteln.
- Mikrocystine: Eine Kontamination mit anderen Cyanobakterien kann zu lebertoxischen Mikrocystinen führen.
- Mikroplastik: Aktuelle Studien aus dem Jahr 2024 dokumentieren Kontaminationen mit Mikroplastik, insbesondere Polypropylen und Polystyrol, in kommerziell verkauften Spirulina-Produkten.
- Unerlaubte Stoffe: Produkte aus Asien fallen immer wieder durch unzulässige radioaktive Bestrahlung, nicht deklariertes Sulfat (kann Asthma auslösen) oder das verbotene Pestizid Ethylenoxid auf.
Wer sollte Spirulina meiden?
Spirulina ist nicht für jeden geeignet. Besondere Vorsicht ist geboten bei:
- Personen mit Phenylketonurie: Spirulina enthält Phenylalanin, das die Erkrankung verschlimmern kann.
- Allergiker: Allergische Reaktionen auf Spirulina sind möglich.
- Medikamenteneinnahme: Es kann zu Wechselwirkungen mit Antidiabetika, Immunsuppressiva, Gerinnungshemmern und Blutverdünnern kommen.
Wer Produkte kaufen möchte, sollte auf rückstandskontrollierte Ware aus geschlossenen Systemen und europäischer Produktion achten. Anbieter, die mit DIN ISO- & GMP-zertifizierter Produktion, eigenen Schadstoffkontrollen und Analysezertifikaten werben, bieten eine höhere Sicherheit. Auch Bio-Spirulina aus kontrollierter Aquakultur, die den EU-Öko-Basisverordnungen entspricht, ist eine Option.
Fazit: Skepsis ist angebracht
Spirulina mag in einigen tropischen Regionen als wichtige Quelle für Eiweiß, Eisen und Vitamin A dienen, wo Mangelernährung ein Problem darstellt. In Industrieländern wie Deutschland, wo eine ausgewogene Ernährung leicht zugänglich ist, sind die beworbenen Vorteile jedoch gering und die Risiken durch Verunreinigungen nicht zu unterschätzen. Eine gesunde und abwechslungsreiche Ernährung mit viel grünem Blattgemüse liefert alle notwendigen Nährstoffe auf natürliche Weise und ohne die potenziellen Gefahren von Nahrungsergänzungsmitteln.
Es ist ratsam, kritisch zu bleiben und sich nicht von vollmundigen Werbeversprechen blenden zu lassen, die keine solide wissenschaftliche Grundlage haben. Im Zweifelsfall sollte man immer medizinischen Rat einholen, bevor man Nahrungsergänzungsmittel zu sich nimmt.





