Die einst millionenfach gebauten Simson-Mopeds aus DDR-Produktion entwickeln sich zunehmend zu einem zentralen Thema in der ostdeutschen Politik. Parteien wie CDU, SPD und AfD wetteifern darum, der Marke Simson einen besonderen Status einzuräumen und sie als „Ost-Identitätsanker“ zu positionieren. Dies betrifft insbesondere die Debatte um eine Tempo-60-Regelung für re-importierte Fahrzeuge, die zuvor ins Ausland exportiert wurden.
Wichtige Erkenntnisse
- Simson-Mopeds genießen aufgrund einer Sonderklausel Tempo 60, während andere Mopeds nur 45 km/h fahren dürfen.
- Politiker in Ostdeutschland fordern, diese Regelung auch auf re-importierte Simsons auszuweiten.
- Historiker sehen in Simson-Fahrzeugen einen wichtigen „Identitätsanker“ für viele Ostdeutsche.
- Die AfD hat das Thema politisch besetzt, woraufhin andere Parteien reagierten, um eine Vereinnahmung zu verhindern.
- Experten betonen die Robustheit und Reparierbarkeit der Fahrzeuge, die ihren Kultstatus begründen.
Politische Debatte um 60 km/h für Reimporte
Die Diskussion um die Simson-Mopeds hat in den letzten Monaten an Fahrt gewonnen. Im Zentrum steht die Forderung, die bestehende Sonderregelung für Simson-Fahrzeuge auszuweiten. Aktuell dürfen Simsons, die vor Ende Februar 1992 in Deutschland zugelassen wurden, eine Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h erreichen. Für andere Mopeds derselben Klasse liegt die Grenze bei 45 km/h.
Die ostdeutschen Bundesländer drängen darauf, diese Ausnahme auch auf Simsons anzuwenden, die zu DDR-Zeiten ins Ausland exportiert und nun nach Deutschland re-importiert werden. Dies soll sicherstellen, dass auch diese Fahrzeuge die höhere Geschwindigkeit fahren dürfen, was für viele Besitzer einen wichtigen Unterschied macht.
Faktencheck Simson
- Produktionszeitraum: Seit den 1960er Jahren
- Gesamtproduktion: Etwa 6 Millionen Fahrzeuge aller Modelle
- Bekannte Modelle: Schwalbe, Star, S51
- Besonderheit: Robust, einfach zu reparieren
Simson als „Identitätsanker“ und Symbol der Freiheit
Für viele Ostdeutsche ist die Simson mehr als nur ein Fortbewegungsmittel. Elisabeth Kaiser (SPD), die Ostbeauftragte der Bundesregierung, betont: „Die Simson ist vor allem für junge Menschen ein Versprechen von Mobilität und Freiheit im ländlichen Raum.“ Sie sieht darin eine Bedeutung, die heute genauso relevant ist wie früher.
Sören Marotz, Ausstellungsleiter des DDR-Museums in Berlin, bezeichnet die Simson als einen „Identitätsanker“. Er erinnert sich, wie er 1988 als Jugendlicher in Ostberlin eine Simson S51 kaufte. Während man auf Autos oft über ein Jahrzehnt warten musste, waren Mopeds für etwa 1000 Mark der DDR schnell verfügbar.
„Simson ist Thüringen, Simson ist Freiheit auf zwei Rädern, Simson ist ein Lebensgefühl.“
Die Fahrzeuge waren robust und einfach zu reparieren, was ihre weite Verbreitung im Alltag der DDR erklärte. Jugendliche nutzten sie für Ausflüge, Polizisten und Pastoren fuhren sie, und selbst die Gemeindeschwester Agnes war auf einer Schwalbe unterwegs. Es war ein praktisches Nutzfahrzeug, das den Alltag prägte.
Das Phänomen des „Ostkults“
Historiker Stefan Wolle sieht den heutigen Kult um die Simson als Teil eines größeren Phänomens: „Es ist ein Phänomen, dass vieles, was in der DDR geschmäht und bespöttelt wurde, im Nachhinein hohes Ansehen genießt.“ Er vergleicht dies mit dem Trabant, der ebenfalls erst nach der Wende seinen Kultstatus entwickelte.
Wolle erklärt, dass viele Ostdeutsche sich nach der Wiedervereinigung mit dem identifizierten, was sie hatten, anstatt sich von „Westlern“ herabschauen zu lassen. Dies sei ein „Unterphänomen des Ostkults“, das besonders 35 Jahre nach der Vereinigung in einer Zeit der Unsicherheit und Abgrenzung zwischen Ost und West passe.
Hintergrund: Einigungsvertrag
Die Sonderregelung für Simson-Mopeds ist im Einigungsvertrag von 1990 verankert. Sie erlaubt Fahrzeugen, die vor dem 28. Februar 1992 erstmals in Verkehr gebracht wurden, weiterhin 60 km/h zu fahren, obwohl für neuere Mopeds der Klasse L1e (Kleinkrafträder) eine Höchstgeschwindigkeit von 45 km/h gilt. Diese Klausel sollte den Besitzern von Simson-Fahrzeugen im Osten Deutschlands entgegenkommen und ihre Mobilität sichern.
Politische Vereinnahmung und Gegenwind
Die AfD hat das Thema Simson frühzeitig für sich entdeckt. Thüringens Landesparteichef Björn Höcke, ein gebürtiger Westfale, warb bereits im Wahlkampf 2024 mit Simson-Ausflügen. Die Partei reichte in mehreren Landtagen Anträge ein, um die Simson als „Immaterielles Kulturerbe“ schützen zu lassen. In einem Brandenburger Antrag heißt es, die Simson stehe „für Freiheit, Unabhängigkeit und Individualität“.
Diese politische Vereinnahmung stößt bei anderen Parteien auf Kritik. Elisabeth Kaiser (SPD) äußert sich verärgert: „Es ärgert mich, wenn die Simson von westdeutschen Populisten und Extremisten vereinnahmt wird, die dann damit plakativ unterwegs sind, sich aber sonst für die besonderen Erfahrungen der Ostdeutschen überhaupt nicht interessieren.“ Sie betont, dass die Simson für sie nicht für Ostalgie stehe, sondern für ostdeutsche Ingenieurskunst, die das ganze Land bereichere, inzwischen sogar als E-Schwalbe mit Elektromotor.
Auch Stefan Drönner von den Simson-Freunden Kassel distanziert sich von politischen Zielen. Der 57-jährige Westdeutsche betont: „Uns geht es um die Mopeds.“ Er kaufte seine erste Simson kurz nach dem Mauerfall, als viele Ostdeutsche ihre Fahrzeuge günstig abgaben. Drönner ist überzeugt: „Wenn wir Westdeutschen nicht gewesen wären, würden nicht mehr so viele Simsons auf der Straße sein. Wir haben es eigentlich gerettet.“
Die Zukunft der Simson
Die anhaltende Beliebtheit der Simson-Mopeds, auch bei jüngeren Generationen und über die ehemaligen innerdeutschen Grenzen hinweg, zeigt ihre kulturelle Relevanz. Die Debatte um die Reimporte und den Kulturerbe-Status unterstreicht, wie tief die Marke in der ostdeutschen Identität verwurzelt ist und weiterhin Emotionen weckt. Die Simson bleibt ein Symbol für eine bestimmte Ära und ein Stück gelebter Geschichte.
Die Robustheit und die einfache Wartung tragen dazu bei, dass viele dieser Fahrzeuge auch heute noch auf den Straßen unterwegs sind. Die Entwicklung von Elektro-Umbaukits für Simson-Mopeds, wie die E-Schwalbe, zeigt zudem, dass die Tradition mit modernen Technologien verbunden wird und die Marke auch in Zukunft eine Rolle spielen könnte.





