Der Begriff „Vitalpilz“ suggeriert oft heilende Eigenschaften. Tatsächlich handelt es sich dabei um einen reinen Marketingbegriff, der keinerlei medizinische Zulassung in Deutschland hat. Produkte wie der chinesische Raupenpilz oder der Lackporling, die als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben werden, dürfen nicht zur Vorbeugung oder Heilung von Krankheiten beworben werden. Ihre Wirksamkeit und Sicherheit sind wissenschaftlich nicht ausreichend belegt.
Wichtige Erkenntnisse
- „Vitalpilz“ ist ein Marketingbegriff ohne rechtliche Definition.
- Produkte sind nicht als Arzneimittel zugelassen.
- Krankheitsbezogene Werbeaussagen sind verboten und irreführend.
- Es fehlen aussagekräftige klinische Studien zu Wirksamkeit und Risiken.
- Produkte können mit Schadstoffen wie Schwermetallen oder Schimmelpilzgiften belastet sein.
- Die Einnahme kann zu schwerwiegenden Nebenwirkungen führen.
Was steckt hinter der Werbung für Vitalpilze?
Die Anwendung von Pilzen und ihren Extrakten wird als „Mykotherapie“ bezeichnet. Diese Produkte werden zur angeblichen Prävention, Unterstützung oder alleinigen Therapie von Krankheiten beworben. Der Begriff „Vitalpilze“ ist nicht definiert und rechtlich nicht geschützt. Er wird von Anbietern verwendet, um Pilze zu vermarkten, die oft nicht als Speisepilze geeignet oder zugelassen sind.
Werbeaussagen im Internet oder in Flyern behaupten, „Heilpilze“ oder „Vitalpilze“ könnten bei einer Vielzahl von Beschwerden helfen. Dazu zählen Asthma, Allergien, Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Gicht, Magengeschwüre, Herzerkrankungen, HIV, Krebs, Rheuma und Wechseljahresbeschwerden. Auch eine positive Beeinflussung des Immunsystems, eine Verzögerung des Alterungsprozesses und eine Steigerung der Potenz werden versprochen. Anbieter suggerieren, dass nichts besser heilt und schützt.
Faktencheck
Besonders Krebspatienten stellen eine bevorzugte Zielgruppe für die „Mykotherapie“ dar. Es gibt jedoch keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass Vitalpilze Krebserkrankungen positiv beeinflussen können.
Die Pilzprodukte werden meist als Nahrungsergänzungsmittel verkauft. Sie liegen getrocknet und zerkleinert, als Pulver oder als Extrakte in Kapseln vor. Nahrungsergänzungsmittel gehören rechtlich zu den Lebensmitteln. Für sie sind krankheitsbezogene Aussagen grundsätzlich untersagt. Trotzdem finden sich auf Gesundheitsmessen und im Internet zahlreiche Behauptungen über medizinische Wirkungen.
Viele Verbraucher halten „Heilpilze“ aufgrund des Namens, der arzneiähnlichen Aufmachung und der Berichterstattung für seriöse Arzneimittel. Für Arzneimittel müssten Wirksamkeit und Sicherheit jedoch in einem Zulassungsverfahren nachgewiesen werden. Dies ist bei Vitalpilzprodukten nicht der Fall.
„Nach Ansicht einer Expertenkommission des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) weisen Heilpilze eine medizinische Zweckbestimmung auf – auch ohne eine explizite arzneiliche Auslobung.“
Diese Kommission ist der Auffassung, dass Vitalpilze als sogenannte Präsentationsarzneimittel gelten. Sie unterliegen somit den Regelungen des Arzneimittelrechts, unabhängig von ihrer tatsächlichen Wirkung. Als Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel unterliegen die Pilze dem Lebensmittelgesetzbuch (§ 11 LFGB, Verbot der Irreführung) und der Health-Claims-Verordnung. Gerichte haben bereits entschieden, dass verschiedene gesundheitsbezogene Werbeaussagen für Vitalpilze gegen diese Verordnung verstoßen und somit unzulässig sind. Die erforderlichen Nachweise für beworbene positive physiologische Wirkungen werden meist nicht erbracht.
Worauf sollte man bei Vitalpilz-Produkten achten?
Einige dieser Pilze gelten laut EU-Novel-Food-Katalog als neuartig und dürfen nicht als Nahrungsergänzungsmittel verkauft werden. Beispiele sind die Schmetterlingstramete (Trametes versicolor), das getrocknete Pulver des Igel-Stachelbarts (Hericium erinaceus) und Cordyceps militaris.
Wichtiger Hinweis
Anders als Arzneimittel werden Nahrungsergänzungsmittel nicht unter definierten, standardisierten Bedingungen produziert. Dies erhöht das Risiko für Qualitätsmängel und Verunreinigungen.
Produkte, insbesondere aus Asien, enthalten oft nicht die angegebenen Substanzen oder Dosierungen. Sie sind häufig mit gesundheitsschädlichen Stoffen wie Aflatoxinen und anderen giftigen Pilzsubstanzen verunreinigt. Weder Nebenwirkungen, Sicherheit noch tatsächliche Wirkungen dieser Produkte wurden umfassend geprüft. Selbsttherapien mit Pilzextrakten sind daher nicht zu empfehlen, besonders wenn bereits Medikamente eingenommen oder eine Chemotherapie durchgeführt wird.
Wichtig: Sie sollten keinesfalls notwendige schulmedizinische Behandlungen wegen einer Pilztherapie verzögern oder unterlassen. Die Einnahme von Pilzextrakten kann auch gravierende Nebenwirkungen haben. Bei gleichzeitiger Einnahme von Beta-Glucan-Extrakten aus Pilzen und entzündungshemmenden Medikamenten (Kortison, Schmerzmittel) können in Tierversuchen starke Entzündungsreaktionen auftreten. Shiitake-Pilze können allergische Reaktionen, Lippenentzündungen und Dermatitis hervorrufen.
Beim Chinesischen Raupenpilz (Cordyceps sinensis), der bis zu 80.000 Euro pro Kilogramm kosten kann, ist die Identität des Materials oft zweifelhaft. Es werden häufig andere, günstigere Pilzarten als Raupenpilz vermarktet. Verbraucher sollten gegebenenfalls ein Echtheitszertifikat vom Hersteller anfordern.
Gefahr durch Reishi-Pilz
Der Reishi-Pilz (Ganoderma lucidum), oft als „natürliches Mittel gegen Diabetes“ beworben, kann zu einer gefährlichen Unterzuckerung führen. Dies gilt sowohl für Menschen mit Diabetes als auch für gesunde Personen. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht hat dieses Risiko aufgezeigt, insbesondere bei Produkten wie Reishi-„Kaffee“.
Können Vitalpilz-Produkte mit Schadstoffen belastet sein?
Heilpilze können für den Menschen giftige oder ungenießbare Substanzen enthalten. Dies hängt manchmal von der Zubereitung ab – ob roh, erhitzt oder als Extrakt. Bei unsachgemäßer Trocknung und Lagerung, bereits beim Hersteller oder Händler, können Produkte mit anderen Pilzen kontaminiert sein. Wenn es sich dabei um Aspergillus-Arten (Schimmelpilze) handelt, muss mit Pilzgiften und anderen toxischen Stoffen gerechnet werden. Dies betrifft insbesondere den Chinesischen Raupenpilz.
Sollten Sie unerwünschte Wirkungen nach dem Verzehr eines Vitalpilzprodukts feststellen, besprechen Sie dies unbedingt mit Ihrem Arzt und melden Sie das Produkt der zuständigen Lebensmittelüberwachung. Eine Meldung bei der Meldestelle für Arzneimittelnebenwirkungen ist ebenfalls ratsam. Hersteller können auf Kontaminationen testen lassen; eine eigene Laboranalyse ist jedoch oft sehr teuer.
Was sind Vitalpilze eigentlich?
Vitalpilze sind in der Regel Pilze, die aufgrund ihres Geschmacks nicht als Speisepilze verwendet werden. Sie finden stattdessen Anwendung in der asiatischen Volksheilkunde als sogenannte „Mykotherapie“. Pilze wie der Raupenpilz (Cordyceps sinensis), die Schmetterlingstramete (Trametes versicolor) und der Lackporling (Ganoderma lucidum, Reishi) werden in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) und der Ayurvedischen Medizin seit Langem eingesetzt. Seit den 1960er Jahren werden sie auch zunehmend wissenschaftlich erforscht. Auch in der europäischen Pflanzenheilkunde kommen Pilze zum Einsatz. Der Chaga-Pilz (Inonotus obliquus) ist ein in Russland traditionell verwendeter „Heilpilz“, dessen Beliebtheit in Deutschland wächst.
Ursprünglich stammen diese Pilze oft aus China, Korea oder Japan. Während der Chinesische Raupenpilz hauptsächlich im tibetischen Hochland wächst, ist die Schmetterlingstramete auch als Baumpilz in mitteleuropäischen Wäldern bekannt. Der Lackporling wächst ebenfalls auf Bäumen. Die für Nahrungsergänzungsmittel benötigten Pilze werden jedoch normalerweise nicht in der Natur gesammelt, sondern (mit Ausnahme des Raupenpilzes) großtechnologisch in Pilzfarmen kultiviert, oft auf künstlichem Substrat. Auch in Deutschland gibt es zahlreiche Pilzfarmen, die „Edelpilze“ wie Shiitake und Maitake anbauen und frisch oder getrocknet verkaufen.
Rechtliche Einstufung
Laut BVL/BfArM sind Pilzarten wie der Chinesische Raupenpilz, die Schmetterlingstramete oder der Lackporling aufgrund ihres Geschmacks, ihrer Konsistenz oder anderer Eigenschaften nicht zum Verzehr geeignet und galten in Deutschland nie als Lebensmittel. Die Schmetterlingstramete (Trametes versicolor) gilt laut EU-Novel-Food-Katalog insgesamt als neuartiges Lebensmittel und bedarf einer Zulassung.
In der traditionellen asiatischen Heilkunde werden für jeden Menschen individuelle Auszüge, Zubereitungen, Kombinationen und Dosierungen zusammengestellt. Diese traditionelle Anwendung hat nichts mit der Verwendung isolierter einzelner Pilzbestandteile in Nahrungsergänzungsmitteln zu tun, wie sie auf dem Markt angeboten werden.
Welche Inhaltsstoffe sind in Vitalpilzen enthalten?
Mögliche Effekte von „Heilpilzen“ werden auf sekundäre Pflanzenstoffe wie Lektine, Beta-Glucane, Ergosterol oder die Aminosäure Arginin zurückgeführt. Diese Stoffe können an bestimmten Rezeptoren binden und – zumindest in Laborexperimenten – verschiedene Wirkungen aktivieren oder begünstigen. Dazu gehören antiproliferative (Zellwachstumshemmung), tumorunterdrückende, antibakterielle, immunsystemanregende und zytotoxische (zellgiftige) Effekte. Ein „immunsystemanregender“ Effekt kann jedoch auch bedeuten, dass allergische Reaktionen ausgelöst werden. Die relevanten Substanzen variieren je nach Pilzart.
Beta-Glucane und ihre Gewinnung
Beta-Glucane, wie das Lentinan aus Shiitake, sind Bestandteile der Pilz-Zellwände. Sie bestehen aus speziell verzweigten Zuckermolekülen (Polysacchariden) und werden aus Hefe- oder Baumpilzen wie Maitake, Shiitake oder Reishi gewonnen. Die Aufbereitung spielt eine wichtige Rolle, da Beta-Glucane an Zellstrukturen gebunden sind, die im Darm nur schlecht verdaut werden können. Daher werden spezielle Extrakte angeboten, bei denen die Wirkstoffe durch heißes Wasser oder Alkohol herausgelöst wurden. Die Konzentrationen der Inhaltsstoffe können je nach Zucht- oder Wildpilz erheblich schwanken.
Die Vielfalt der verwendeten Pilzarten, die Art der Aufbereitung, die pharmazeutische Qualität und die Anwendungsform (frisch, Trockenextrakt, oral oder intravenös) sind so unterschiedlich, dass keine allgemeingültigen Aussagen über Dosierung, Anwendungszeitraum, Wirkung und Nebenwirkungen möglich sind. Selbst wenn Studien einen möglichen Nutzen einzelner isolierter Substanzen zeigen, ist dies nicht automatisch ein Beleg für die im Handel befindlichen Extrakte und Produkte. Die US-amerikanische Krebsgesellschaft weist darauf hin, dass in der Regel keine Studien mit den entsprechenden Handelsprodukten selbst durchgeführt wurden. Dies gilt besonders für Nahrungsergänzungsmittel.
Es existieren zwar viele Studien, die Vitalpilze und ihre Bestandteile untersuchen, doch die Qualität dieser Studien entspricht nicht immer wissenschaftlichen Ansprüchen. Oft wurden Zellkulturen oder Labortiere verwendet. Diese Ergebnisse sind zwar wissenschaftlich interessant, aber nicht direkt auf den Menschen übertragbar und reichen für abschließende Bewertungen nicht aus. Klinische Studien zur Wirksamkeit von Vitalpilzen gegen Krebs und andere Erkrankungen umfassen häufig nur wenige Patienten. Ihre Designs erfüllen selten die Anforderungen an aussagekräftige klinische Studien. Einige Pilze, wie der Chaga, wurden noch gar nicht an Menschen getestet. Bei Krebserkrankungen sind Rückschlüsse von einzelnen positiven Studienergebnissen bei einer Tumorart (z.B. Brustkrebs) auf andere Krebsarten nicht möglich.
Obwohl der Glänzende Lackporling („Reishi“) oft als krebsheilend beworben wird, gibt es laut einer Auswertung der Cochrane Collaboration keine ausreichenden wissenschaftlichen Belege dafür. Die bisherigen Studien sind von sehr schlechter Qualität, und ein tatsächlicher Nutzen für die Krebstherapie konnte nicht nachgewiesen werden. Insgesamt ist die positive Beeinflussung von Krebserkrankungen durch Vitalpilze nicht belegt.





